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Mein Leben – aufgeschrieben 2019

Die Babyboomer sind heute 50+ Jahre alt. Ich gehöre mit 55 Jahren auch dazu.
Meine Eltern waren emotional sehr distanziert in meiner Kindheit. Zuwendungen bestanden nur in materiellen Geschenken. Ich kann mich an kein gemeinsames Spiel mit meinen Eltern erinnern, und ich kann mich sehr gut an meine Kindheit erinnern. Ich sehe z.B. immer noch vor Augen, dass ich als Kleinkind den ganzen Tag in einem Laufstall allein auf dem Hof saß (Kfz-Betrieb). Als ich später mit 16 Jahren wagte, sie darauf anzusprechen, warfen sie mir vor, ich sei undankbar. Es sei mir doch gut gegangen.
Nahestehende Menschen fragten mich später, wieso ich kein Psycho, Alki oder Menschenhasser geworden bin, dem alles egal ist, so komplett ohne Leitbilder oder externe Motivation.

Aber ich bin im Gegenteil zu einem Menschen geworden, dem das Wohlergehen anderer Menschen lange Zeit wichtiger war, als das eigene. Vielleicht, weil ich es selbst nicht erlebte. Zugleich wollte ich immer möglichst viel wissen (weil mein Vater mir einprägte, ich müsse immer alles beim ersten Mal perfekt machen) und fing mit 13 Jahren an, nach dem Tod meiner älteren Schwester die Bibel zweimal komplett durchzulesen (was mich Atheist werden lies) und habe mich dann wissenschaftlichen Abhandlungen gewidmet. Ich gewöhnte mir an, jedes potenzielle Gespräch mit anderen Menschen vorher im Geist durchzuspielen, mit allen möglichen Fragen, um dann eine perfekte Antwort zu haben. Das brachte meine Alterskameraden dazu, mich als Lügner zu bezeichnen, weil man ja unmöglich sofort Antworten auf ihre Fragen haben könne.

Mit meinem Perfektionstrieb habe ich mir damals viel verbaut, auch im Beruf. So habe ich ein Studium abgebrochen, weil es mir nicht effektiv erschien und mir mein Arbeitgeber, bei dem ich parallel arbeitete, mit Geld dazu überredete, doch meine ganze Leistung lieber in die Firma zu investieren. Ein Jahr später habe ich die Firma verlassen.
Ich habe immer alles getan, damit es anderen Menschen möglichst gut geht, aber das wurde mir seltsamerweise nie gedankt. Im Gegenteil wurde mir unterstellt, ich müsse irgendwelche niederen Beweggründe haben. Auch dass ich niemals lüge – was dem Umstand zu verdanken ist, dass ich meine Mutter im Umgang mit Kunden ständig lügen sah und ich das als Schwäche ansah und ansehe – wurde mir nicht abgenommen, weil „normale Menschen so nicht leben können“, da es zu schwer sei. Klar, man muss dazu ein gesundes Selbstbewusstsein haben und eine Menge Ablehnung einstecken können, ohne abzudrehen.
Ich musste in langen Jahren unter Schmerzen lernen, wem ich es gut gehen lassen kann und wer es nur ausnutzt. Mittlerweile klappt das recht gut, weil ich eine sehr gute Menschenkenntnis gewonnen habe.

Ich werfe niemandem falsche Handlungen aus Unkenntnis vor, wenn er gewillt ist, immer weiterzulernen und das Beste aus sich und für andere zu machen. Aber Menschen, die bewusst Böses tun, um ihre eigenen Ideologien zu verwirklichen, verachte ich zutiefst. Ich selbst habe nach wie vor das innere Verlangen, für ein harmonisches Umfeld zu sorgen, in dem es den Leuten gut geht. Würden alle so denken und handeln, dann würden wir im Paradies leben.

Ich war in meiner Schulzeit „natürlich“ grün eingestellt, weil ich dachte, das sei das Beste für die Menschen. Aber mit zunehmendem Alter und aufgrund meines Wissensdrangs (aus Angst, nicht perfekt zu sein?), der mich Jahrzehnte lang Dokumentationen zuerst in Buchform, später in Videos konsumieren ließ, wurde ich konservativ in dem Sinn, dass man das Gute erhalten und verbessern sollte. Ich bin mittlerweile recht bewandert in Naturwissenschaften, Wirtschaft, Erdgeschichte und Politik und denke, dass ich recht gut erkannt habe, was gut und was schlecht für uns ist. Ich bin im IT-Bereich tätig und muss ständig Neues dazu lernen und Altes teilweise über Bord werfen. Vielleicht hat mich das geistig fit gehalten. Jedenfalls kommen mir viele Menschen zwischen 30 und 50 Jahren schon recht alt und festgefahren in ihren Ansichten vor, auch im Job. „Was vor 10 Jahren richtig war, muss auch heute noch richtig sein“, höre ich oft, und das von jüngeren Menschen. Andere lehnen alle „alten“ Werte ab, nur weil sie alt sind und sind der Meinung, man müsse alles anders machen, auch wenn es keinen Hinweis darauf gibt, dass es dadurch besser wird.

Ich habe kaum Kontakt zu Menschen meines Alters, also zu Babyboomern. Die sind mir zu langweilig. Sie haben ihrer Meinung nach alles gelernt und wollen sich nicht mehr weiter entwickeln. Ich bin der älteste Mitarbeiter in meiner Firma, in der ich seit ein paar Jahren arbeite und in der ich nur eingestellt wurde, weil sich kein Jüngerer (bzw. niemand anderes) beworben hatte, was mir auch mehrfach deutlich gemacht wurde. Noch heute werde ich von einigen Mitarbeitern – zumeist von studierten Vorgesetzten – nicht für voll genommen, weil ich ja so alt sei und „nur“ durch das Leben gelernt habe, aber nicht in einem staatlichen Studium vor 30 Jahren. Das gilt hierzulande als „ungelernt“. Wer schon einmal Studienabgänger im Job erlebt hat, der weiß, wie abstrus dieses Denken ist. 🙂

Bin ich eine Ausnahme? Sind Leute in meinem Alter verbohrt, Narzissten oder Aufgeber? Ich kann das nicht einschätzen. Aber ich erinnere mich an ein Klassentreffen, als wir 30 Jahre alt waren und der Großteil der Ex-Schüler mit seinem Leben insofern abgeschlossen hatte, als dass sie genauso weitermachen wollten wie aktuell, bis zur Rente. Nur nicht sagen, denken oder tun, was den Lebensweg beeinträchtigen könnte. Es geht ihnen ja noch gut und man könnte ja anecken.

Thomas:
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